Schimäre (1978)
Herbert Lungwitz (1913-1992)
1978
Baukeramik
Im Wattenscheider Stadtgarten befinden sich zwei Skulpturen von Herbert Lungwitz. Beide stammen aus dem gleichen Jahr und sind formal und thematisch locker verknüpft. Verbindendes Glied sind Feuer, Eisen und die Etrusker. „Elba“ ist in der südöstlichen Ecke des Gartens platziert, „Schimäre“ diagonal entgegengesetzt in der nordwestlichen Ecke. Das Material beider Skulpturen ist Baukeramik. Keramik wird aus dem Feuer geboren.
Homer beschreibt die Chimäre (deren Name Χιμαιρα, Chímaira, im Griechischen wörtlich Ziege bedeutet) in der Ilias als ein geflügeltes, feuerspeiendes Ungeheuer, das mit Löwenkopf und -körper, dem Schwanz einer Schlange sowie einem zusätzlichen Ziegenkopf auf dem Rücken dargestellt wurde und das der Sage nach Lykien heimsuchte. König Iobates gab Bellerophon, einem Enkel des Sisyphos, den Auftrag, die Chimäre zu töten. Hierzu stellte ihm Athene oder Poseidon wiederum ein Mischwesen, das geflügelte Pferd Pegasos, zur Verfügung.
Die Chimäre von Arezzo, eine Bronzestatue, die 1553 in der Toskana gefunden wurde, ist eine der berühmtesten Darstellungen der Chimäre und eines der bekanntesten Beispiele etruskischer Kunst.
Als Chimaira ist seit der Antike auch ein Platz im kleinasiatischen Lykien (heute Türkei) bekannt, an dem noch heute ein Jahrtausende altes Naturphänomen zu beobachten ist: Aus dem felsigen Boden eines Berghangs schlagen an mehreren Stellen Flammen heraus - die „ewigen Feuer der Chimäre“.
Allgemeiner bezeichnet Chimäre (auch Schimäre) Mischwesen, Fantasiegebilde oder Hirngespinste - wie etwa den hier dargestellten Zusammenhang zwischen Herbert Lungwitz und den Etruskern.
Der Heimat- und Verkehrsverein Kettwig stellte Herbert Lungwitz 1991 so vor:
Das typische Merkmal an Lungwitz ist, dass es keine typischen Merkmale gibt: Immer wieder überrascht der Künstler als Formerneuerer, entzieht sich der 78jährige sowohl in Bezug auf Materialien als auch auf die Aussagen seiner Kunst allen Konventionen und Erwartungen. „Wiederholung“, sagt Lungwitz, „ist Dummheit“.
Lungwitz´ Atelier ist ein ehemaliges Schulgebäude in Steele. Hier arbeitet der Künstler, hier empfängt er seine Schüler zweimal in der Woche zum Mal- oder Bildhauerunterricht - hier herrscht der alte Mann mit dem silbergrauen Backenbart über eine Welt bizarr-schöner Figuren, Skulpturen und wandgroßen Reliefs, in denen der Künstler über Liebe, Tod und Geburt, über Unterdrückung durch Staat und Kirche philosophiert. Lungwitz´ Objekte erinnern an Totempfahle oder Götzenbilder, an abgesandte einer phantastisch-surrealen Welt, aus Industrieschrott, Holz und Stein.
„Kunst“ sagt Lungwitz „ist ein Appell an die Sinne, nicht an den Vorstand“. Da sitzt er in seinem grauen Hausmeisterkittel, schüttet sich Milchkaffee aus der Thermoskanne nach und sinniert über den heutigen Kunstbetrieb. Der sei sektiererisch geworden, richte sich nach dem Geschmack einer kleinen elitären Kaste und werde vom Geld bestimmt. „Heute“, die Stimme wird scharf, die Augen leuchten auf, „gibt es kaum noch Kunst. Das ist alles Dekoration.“ Dem „kapitalistischen Spiel“ des modernen Kunstbetriebes, der nur noch Märkte bedient, hat sich der Bildhauer immer verweigert. Lungwitz macht den Unterschied zu einer Großzahl der Kollegen deutlich: „Ich produziere keine Ware - ich bringe meine Gefühle nach draußen.“
Standort:
Stadtgarten Wattenscheid
Parkstraße / Stadtgartenring
44866 Bochum (Wattenscheid)
Siehe auch:
Übereinander
Elba
Tisch des Gastgebers
Nachlesen:
Wikipedia: Herbert Lungwitz
Wikipedia: Chimäre (Mythologie)
Thomas Gransow: Die Etrusker