Hat Bochum eine Seele?
Über Kunst im öffentlichen Raum in Bochum (25. August 2011)
Am 8.4.2011 wurde am Schulzentrum Wiemelhausen Otto-Herbert Hajeks Skulptur "Maßzeichen" aus dem Jahr 1972 abgerissen. Das habe ich daraus gelernt:
Man darf die Kunst nicht allein den Kunsthistorikern überlassen. Jedenfalls nicht, wenn es um Kunst im öffentlichen Raum geht. Kunst im Museum steht sowieso zum größten Teil im Magazin und ist der Öffentlichkeit gar nicht zugänglich. Da sollen sich die Kunsthistoriker gern austoben.
Kunst im öffentlichen Raum dagegen ist per se öffentlich und damit für alle und jeden jederzeit zugänglich. Man kommt gar nicht darum herum. Wer sehen will, der sieht, wer nicht sehen will, muss lernen, nichts zu sehen. Das kann anstrengend sein. Deshalb verursacht Kunst im öffentlichen Raum viel Aufregung, wenn und solange sie unübersehbar ist.
Abgesehen von der ganzen Aufregung um einige wenige Werke haben die meisten Kunstwerke im öffentlichen Raum eine ganz und gar unspektakuläre Geschichte. Sie werden in der Regel einfach übersehen.
Nicht sehen kann man allerdings, welche Geschichten mit der Kunst im öffentlichen Raum verbunden sind. Die Menschen, die mit einem Kunstwerk in ihrer Stadt, in ihrer Umgebung aufwachsen, sind diese Geschichte und sie könnten ihre Geschichten erzählen.
Die kunstwissenschaftlichen Maßstäbe, die Frage, ob es sich um "große" Kunst, um - mehr oder weniger - unbedeutende Kunst oder gar nur um Kitsch handelt, sind dabei kein gültiger Maßstab. Ein Kunstwerk im öffentlichen Raum ist erst dann bedeutungslos, wenn es niemanden mehr gibt, der dazu eine Geschichte, seine Geschichte, erzählen kann.
Wer Kunst im öffentlichen Raum einfach abräumt, abreißt, zerstört oder verschwinden lässt, zerstört Erinnerungen. Diese Erinnerungen sind die Seele einer Stadt. Deshalb ist der Abriss von Kunst im öffentlichen Raum Frevel.
Kunsthistoriker müssen sich nicht für die Geschichten der Menschen mit den Kunstwerken in ihrer Stadt interessieren. Sie können die Kunst gern im Elfenbeinturm betrachten. Solange sie das tun, fehlt ihnen aber ein wesentlicher Teil der erforderlichen Kompetenz, um über Kunst im öffentlichen Raum zu reden.
Weil es bei der Auseinandersetzung mit Kunst im öffentlichen Raum immer auch und nicht zuletzt um die Geschichten der Menschen geht, die mit den Kunstwerken im öffentlichen Raum verbunden sind, ist es schwierig die Grenzen zu ziehen, zwischen bedeutend und belanglos, großer Kunst und bloßem Kunsthandwerk, zwischen Kunst und Kitsch.
Kunst im öffentlichen Raum ist eine Aufgabe für Historiker, für die Stadtgeschichte und die Stadtteilgeschichte, wie sie oft und gerade von Amateuren und Hobbyforschern erzählt wird. Man darf die Kunst nicht einfach den Experten überlassen. Die verstehen nichts davon .
artibeau.de ist eine Website über Kunst im öffentlichen Raum in Bochum. Nur in dieser Stadt. Das verändert die Perspektive. Die Dokumentation der Kunst im öffentlichen Raum wird so zu einem Projekt der Stadtgeschichte. Wesensverwandt mit artibeau.de ist deshalb vor allem anderen eine Bochumer Website, in der es gar nicht um Kunst geht: www.historisches-ehrenfeld.de. Nicht zufällig ebenfalls eine private, persönliche und ortsbezogene Website.
Während der Arbeit an artibeau.de habe ich gelernt: Es geht nicht nur darum die Zahlen, Daten und Fakten zu präsentieren, sondern die Geschichte und die Geschichten, die mit einem Kunstwerk verbunden sind.
Sind Brunnen Kunst? Gehört ein fast vergessener, heruntergekommener und funktionsloser Brunnen in eine Website über Kunst im öffentlichen Raum? Ich hatte nicht vor, den Brunnen am Marktplatz genannten Parkplatz in Weitmar-Mark in artibeau.de aufzunehmen. Aber ich habe Post bekommen. Menschen haben mir ihre Geschichte mit diesem Brunnen erzählt. Also gehört er dazu. Egal, was die Kunsthistoriker sagen mögen: Dieser Brunnen gehört zur Geschichte dieser Stadt. Und die Geschichte dieses Brunnen ist Teil der Geschichte dieser Stadt.
Deshalb war es falsch und unverzeihlich, die einzige Plastik von Otto Herbert Hajek in Bochum einfach abzureißen. Selbstverständlich gibt es genügend gelehrte Argumente von ausgewiesenen Kunsthistorikern, die den Abriss rechtfertigen sollen und müssen. Die Entscheidung ist nach dem erfolgten Abriss ja unwiderruflich und die Entscheidungsträger müssen Recht haben. Aber sie sind blind für Geschichte dieser Plastik als Teil der Geschichte dieser Stadt und ihrer Menschen.
Die Plastik „Maßzeichen (3 Schulen unter einem Dach)“ war ein Symbol für das Schulzentrum Wiemelhausen mit der Albert-Einstein-Schule (Gymnasium), der Hans-Böckler-Realschule und der Carl-Arnold-Kortum-Hauptschule (bis 2000). Dieses Schulzentrum ist selbst schon Geschichte, obwohl es erst 1970 eingeweiht wurde. Mit der Plastik wurde symbolisch auch diese Geschichte ausgelöscht. Für Generationen von Schülern in diesem Schulzentrum hatte diese Plastik eine Bedeutung, die völlig unabhängig von ihrer kunsthistorischen Bedeutung war und ist. Darauf hat niemand Rücksicht genommen. Hat Bochum eine Seele?
artibeau .de hat über einige Umwege immerhin eines erreicht: Politisch wird die Verantwortung für die Kunst im öffentlichen Raum wenigstens wieder wahrgenommen, nachdem sie völlig aus dem Blickfeld der Politik und erst recht der Verwaltung verschwunden war. Das Schulverwaltungsamt ist der größte Kunstvernichter in Bochum. Ein Beschluss wurde gefasst. Eine Kommission wurde eingerichtet - wie sie früher bereits einmal existiert hatte.
Aber ist diese Kommission richtig besetzt? In der Kommission sitzen "Vertreter der Bau- und Kulturverwaltung", private Geldgeber, Kunstgeschichtler und Vertreter des akademischen Kunstbetriebs. Nicht vertreten sind Kenner der Bochumer Stadtgeschichte. Kein Vertreter der Kortum-Gesellschaft, kein Lokalhistoriker, kein Denkmalpfleger. Niemand, der sich in und für Bochum engagiert um die Kunst im öffentlichen Raum kümmert. Wie es scheint, waren in dieser Kommission genau die Personen versammelt, mit deren Hilfe man den Abriss der Hajek-Skulptur am Schulzentrum rechtfertigen konnte und wollte.
Das lässt für den Erhalt der Kunst im öffentlichen Raum in Bochum nichts Gutes hoffen. Aber es kann sich ja alles ändern.