Terminal (1977/79)
Richard Serra (*1939)
1977/79
CorTen-Stahl
1979 in Bochum aufgestellt ist „Terminal“ von Richard Serra auch über dreißig Jahre später das am meisten diskutierte, geliebte, gehasste, polarisierende, kurzum bedeutendste Kunstwerk in Bochum. Zum Terminal hat jeder Bochumer eine - meist unverrückbare - Meinung. Schlecht über das Terminal reden gehört zum guten Ton. Spannend wäre die Frage, wie viele Bochumer bereit wären, das Terminal zu verkaufen, um die Stadtkasse zu sanieren. Die Wertsteigerung seit 1979 ist immerhin beachtlich.
Der Bochumer Galerist Alexander von Berswordt-Wallrabe erklärte 2005 anlässlich der Erweiterung der Situation Kunst am Haus Weitmar:
Für den Bau des neuen Gebäudes hat Richard Serra 150.000 Euro gespendet. Das ist genau die Summe, die die Stadt seinerzeit für das Terminal gezahlt hat.
Das Terminal besitze heute [2005] sicherlich einen Wert von drei Millionen Euro. Im Oktober 2013 schätzte Alexander von Berswordt-Wallrabe den Geldwert des Terminal schon auf 15 bis 18 Millionen Euro.
Am 1. April 2011 berichtet die WAZ Bochum unter der Überschrift „Volksnah: Ottilie Scholz schmilzt Serra ein“, die Bochumer Oberbürgermeisterin habe sich mit dem Rückhalt aller Ratsfraktionen entschlossen, das Terminal einzuschmelzen und aus dem Material eine „volksnahe Brunnenplastik“ fertigen zu lassen, am besten in Gestalt eines „wasserspeienden Esels“.
Der Trailer zu dem Dokumentarfilm „Sehenden Auges. A Tribute to Max Imdahl“ von Christoph Böll bringt einen kleinen Ausschnitt aus der legendären Radiosendung „Hallo Ü-Wagen“ mit Carmen Thomas, die sich am 24. Juli 1980 in Bochum dem Reizthema „Terminal“ widmete. Der Film hatte am 22.1.2012 Premiere.
Der Kauf des Terminal war zwar öffentlich finanziert, aber privat initiiert. Unmittelbar nachdem der Bochumer Stadtrat 1977 den Ankauf der Skulptur beschlossen hatte, brach eine Welle der Empörung los, die nicht nur eine aggressiv geführten Debatte auslöste, sondern in Vandalismus und Gewalt gipfelte. „Mir wurden damals die Scheiben in der Galerie eingeworfen und die Reifen am Auto aufgeschlitzt“ erinnert sich Alexander von Berswordt-Wallrabe. Die Bochumer CDU und ihr Spitzenkandidat im Landtagswahlkampf gingen mit dem Versprechen auf Stimmenfang, die Skulptur im Falle eines Wahlsiegs zu verkaufen.
„Terminal“ stand zuerst als Wahrzeichen der Documenta VI (1977) in Kassel vor dem zentralen Ausstellungsgebäude Fridericianum.
Das Terminal ist ebenso einfach wie vertrackt. Auf den ersten Blick ist es ein simples Kartenhaus aus rechteckigen Stahlplatten. Auf den zweiten Blick muss ein dritter und vierter folgen, um zu erkennen, dass das Terminal sich dem Betrachter aus jeder Perspektive anders präsentiert. Die Wahrnehmung der Skulptur ist abhängig vom Standpunkt des Betrachters. Die Skulptur scheint jederzeit kippen zu können. Der größte Widerspruch offenbart sich im Innenraum: Der sichtbare Himmelsausschnitt bildet ein perfektes Quadrat.
Das Terminal steht für sich und bedeutet nichts als sich selbst. Die Konstruktion besteht aus vier trapezförmigen 12,30 m hohen, 2,74 bis 3,66 m breiten und 6,5 cm starken CorTen-Stahlplatten mit je 24 Tonnen Gewicht, die - gegeneinander gelehnt - auf einem quadratischen Grundriss angeordnet sind.
Den Standort für das Terminal hat Serra selbst bestimmt: „Terminal war für diesen Ort konzipiert... In Bochum steht das Werk in Wechselwirkung mit der Hauptverkehrsader der Stadt, mit dem Straßenverkehr, mit dem Straßenbahn- und Busverkehr, wie mit den Fußgängern“. Das „Terminal“ bezieht sich unmittelbar auf den umgebenden öffentlichen Raum. Allerdings nicht auf dekorative Art: Das Terminal fängt Streit an mit dem Ort. Das Publikum wird auf die tatsächlich umgebende Welt zurückgeworfen und demzufolge vom „Schrecken der Immanenz“ erfaßt.
Dadurch, dass dem auf 6,5 cm schmalen Kanten ruhenden Stehen der Konstruktion jede Selbstverständlichkeit fehlt, drängen sich Gedanken an Gefährdung und Bedrohung ins Bewusstsein. Die Gewissheit, wie die Balance zustande kommt, geht verloren und diese Irritation bestimmt wesentlich die emotionale Wahrnehmung.
Obwohl man annehmen möchte, dass eine Konstruktion aus vier Stahlplatten, zumal eine Konstruktion aus vier gleichen Stahlplatten, nicht übermäßig kompliziert sein kann, lässt sie sich nicht wirklich in ihrer Gesamtheit denken. Ein Grund für diese Irritation ist, dass die wirksamen Kräftevektoren durch die Unregelhaftigkeit und Schrägstellung der gesamten Skulptur nicht mit den Richtungen, Linien und Flächen des materialen Gebildes identisch sind: Die Form bildet ihr eigenes Kraftfeld nicht ab, so dass nicht wirklich ersichtlich wird, wie dieses asymmetrische Gefüge sein Gleichgewicht hält.
Ebenso irritierend ist, dass die einzelnen Ansichten der Skulptur sich nicht zur Vorstellung
eines zusammenhängenden Ganzen vereinheitlichen lassen, eröffnet doch jede Veränderung
der Perspektive auf die Skulptur neue und unerwartete Erfahrungsqualitäten. Immer wieder
scheint ein grundlegend gewandeltes Gebilde vor Augen zu stehen, da sich beim Umschreiten
kein einheitliches Ganzes im Gedächtnis aufbaut, sondern die jeweilige Ansicht sich auf
merkwürdige Weise isoliert. Je mehr die einzelnen Ansichten in ihrer Wirkkraft erkannt
werden, desto mehr verliert sich ein Bild vom Ganzen.
(Karen von den Berg, Seite 25)
Raum, Materialität, Widerständigkeit, Rauigkeit, Härte, Schwere, Stabilität, Labilität, Gleichgewicht und Schwerkraft sind Themen des Werkes.
Terminal reset
Am 11. Oktober 2011 stand das Terminal als vierte „Neuenthüllung“ der Public Art Ruhr (RuhrKunstMuseen) im Blickpunkt. Allerdings stellte sich den Restaurationsbemühungen eine besondere Schwierigkeit in den Weg: Die Spuren der Zeit lassen sich nicht von der konservierenden Rostschicht des CorTen-Stahls entfernen, ohne diese Schicht selbst anzugreifen. Wie also sollte man den Originalzustand wiederherstellen, wenn man ihn nicht definieren kann?
Am Ende ihres Lateins angelangt entschlossen sich die Experten, den Künstler selbst fragen zu lassen. Und Richard Serra gab eine Antwort, die alle, außer seinem Galeristen Alexander von Berswordt-Wallrabe, überraschte: Das Terminal sollte nach 37 Jahren erstmals in seinen Urzustand versetzt werden — den es noch nie hatte. Anders als bei der Eröffnung der Documenta 6 am 24. Juni 1977, als der knappe Zeitrahmen es nicht mehr erlaubte, die Spuren des Herstellungsprozesses durch Sandstrahlen von der Oberfläche der Stahlplatten zu entfernen, wurde dieser jungfräuliche Zustand im Frühjahr 2014 hergestellt und anschließend durch eine spezielle Oberflächenkonservierung vor Beschädigungen und Verunreinigungen geschützt. Rosten darf das Terminal aber weiterhin.
Standort:
Wittener Straße / Ostring
44789 Bochum
Siehe auch:
O.I.C
Elevational Circles In and Out
Nachlesen:
Wikipedia: Richard Serra
m-Bochum: Richard Serra: Terminal
WAZ: 30 Jahre Terminal
WAZ: Interview mit Alexander von Berswordt-Wallrabe
WAZ: Eine optimale Investition.
WAZ: „Terminal“ erstrahlt bald wie neu
virtuelles museum moderne nrw: Terminal
virtuelles museum moderne nrw: Richard Serra
WAZ: Guggenheim-Museum Bilbao: „The Matter of Time“
Welt der Form: Richard Serra
Videos:
YouTube: Bauarbeiten bei der Aufstellung, (1979, 40 sec)
labkultur.tv: Ist es Kunst oder kann das wech? - Terminal. (21.03.2012, 5:55 min)
Literatur:
Terminal von Richard Serra. Eine Dokumentation in 7 Kapiteln. Hrsg. v. Ingo Bartsch, Kunstmuseum Bochum 1980.
Karen von den Berg, Der leibhafte Raum. Das Terminal von Richard Serra in Bochum, Ostfildern 1995.